Besprechung zu:

Richard Williams: The Contentious Crown. Public Discussion of the British Monarchy in the Reign of Queen Victoria, Aldershot: Ashgate 1997. 276 S., ISBN: 1-85928-106-0

Autor der Besprechung: Detlev Mares

Erstveröffentlichung der Besprechung (mit Anmerkungen): MEGA-Studien 1998/1, S. 119-122.

Spätestens seit David Cannadines Beitrag zu dem von Eric Hobsbawm und Terence Ranger edierten Band "The Invention of Tradition" (1983) erfreut sich die britische Monarchie als Forschungsobjekt unter englischen Sozialhistorikern großer Beliebtheit. Krisen und Katastrophen im Königshaus haben sicherlich ihren Anteil daran, dem Thema fortgesetzte Aktualität und verfassungsrechtliche Relevanz zu sichern. Zahlreiche Studien zur gesellschaftlichen und politischen Rolle der Monarchie im 19. Jahrhundert haben herausgearbeitet, auf welche Weise Zeremonien und Rituale dazu beitrugen, eine breite populäre Unterstützung für das Königtum zu sichern, während die aktive politische Rolle des Monarchen oder der Monarchin immer stärker zurückgedrängt wurde. Es entsteht auf diese Weise häufig das Bild einer linearen Entwicklung, in deren Verlauf eine zunächst apathische oder monarchiekritische Bevölkerung sich zunehmend mit dem Königtum identifizierte, so daß dieses um die Wende zum 20. Jahrhundert tief in der modernen britischen Nationalidentität verankert erschien. Insbesondere die lange Regierungszeit der Königin Viktoria (1837-1901) gilt als wesentliche Etappe für die Stabilisierung einer parlamentarischen Monarchie unter den Bedingungen rapiden wirtschaftlichen und sozialen Wandels.

Auch Williams umgeht in seiner Studie weitgehend die Frage, inwiefern die propagandistisch durchorganisierten Jubelfeiern in den letzten Jahrzehnten der Herrschaft Viktorias tatsächlich eine zuvor nicht gekannte Durchsetzung monarchistischer Loyalität bezeugen. Denkbar wäre es immerhin, daß die Historiker sich zumindest teilweise zu stark auf zeitgenössische Berichte verlassen, die selbst bewußt zur Schaffung des Bildes von einer patriotischen, monarchiezentrierten britischen Identität beitragen sollten. Williams bietet aber dennoch ein wesentlich differenzierteres Bild als ein großer Teil der Forschung, indem er die Gleichzeitigkeit von Verehrung und Monarchiekritik während des größten Teils der Regierungszeit Viktorias herausarbeitet.

Für die Arbeitergeschichte interessant ist dieses Thema zum einen wegen der immer wieder betonten Verwurzelung monarchistischer Loyalität in breiten Schichten der Bevölkerung. Gerade auch die Arbeiterschaft des späten 19. Jahrhunderts gilt als Stütze der Monarchie. Leider erfährt der Leser über diesen Aspekt des Themas allerdings eher wenig. Williams konzentriert sich - mit plausibler Begründung - auf die öffentliche Diskussion über die Monarchie in Zeitungen, Pamphleten und Parlamentsdebatten. Die Haltung der Arbeiter spiegeln diese Quellen nur indirekt und fragmentarisch. Wiederkehrende Loyalitätsbekundungen von Arbeitervereinigungen ergeben noch lange kein geschlossenes Bild über die tatsächliche Bedeutung der Monarchie für die Einbindung der Arbeiterschaft in den patriotischen Konsens des späten 19. Jahrhunderts. Eingehendere Untersuchungen zu diesem Thema erscheinen dringend geboten, fallen die verstärkten Loyalitätsbekundungen gegenüber der Krone doch zeitlich zusammen mit dem Aufstieg einer eigenständigen, teilweise sozialistisch inspirierten Arbeiterpartei. Das Ausmaß der Attraktivität von Monarchie und Konservativer Partei für die Arbeiter bildet einen unverzichtbaren Gegenpol, um die Durchsetzungsprobleme der frühen Labour Party beurteilen zu können.

Ein zweiter Grund für das arbeitergeschichtliche Interesse an Williams' Untersuchung erwächst aus der Kritik an der Monarchie, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts aus der Arbeiterbewegung heraus vorgetragen wurde. Während des Chartismus handelte es sich einerseits um eine traditionelle radikale (utilitaristisch bekräftigte) Kritik an den Kosten der Monarchie, zum anderen um das Aufkommen einer Klassenanalyse, die die Queen als Instrument der Landbesitzer und Kapitalisten ansah. Allerdings waren die Chartisten in der Regel keine Republikaner. Häufig finden sich Loyalitätsbekundungen gegenüber Viktoria, verbunden mit dem Vorbehalt, die Königin müsse sich auf die Seite des Volkes stellen und dessen Rechte garantieren. Nur auf diese Weise könne sie die Legitimität der Monarchie gegenüber dem Volk wiederherstellen. Im Spät-Chartismus (nach 1848) bildete sich jedoch unter dem Einfluß kontinentaler Exilanten (inbesondere Mazzinis) ein republikanischer Diskurs heraus, der über den Tod des Prinzgemahls Albert (1861) hinaus von einer ausgeprägten Deutschenfeindschaft belebt und durch staatsbürgerliche Ideale der anglo-amerikanischen Republikanismustradition vertieft wurde.

Eine organisierte republikanische Bewegung gab es allerdings erst in den späten 1860er und frühen 1870er Jahren; ihre verschwindenden Ausläufer blieben bis zum Ende des Jahrhunderts aktiv. Die 50 Seiten, die Williams diesem Aspekt widmet, stellen seit den Arbeiten von Royden Harrison (1965) sowie Fergus d'Arcy und Edward Royle (aus den frühen achtziger Jahren) die erste neuere Darstellung im Rahmen einer Monographie dar. Zwar ist das republikanische Denken der 1870er Jahre jüngst durch Margot Finn und Antony Taylor erneut untersucht worden, doch gerade die Organisationsgeschichte der republikanischen Bewegung bedarf dringend weiterer Forschungen. Die Bewegung entwickelte sich nämlich parallel zur Internationalen Arbeiterassoziation, zu der sie in einem komplexen Verhältnis von Konkurrenz und Kooperation stand. So zählte George Odger, zeitweilig Präsident der IAA, ab 1870 zu den führenden Köpfen der republikanischen Bewegung - gerade in einer Zeit, als er sich von der IAA zunehmend distanzierte. Charles Bradlaugh, der 1873 die größte republikanische Konferenz einberief, hatte sich von vornherein nie stark in der IAA engagiert, ganz im Gegensatz zu John de Morgan. Dieser hatte seine Einkünfte als Rhetoriklehrer durch seine Betätigung für die IAA verloren, bevor er in Nordengland die organisatorische Zusammenführung von Republikanismus und Internationalismus betrieb.

In der Nachfolge Gossmans (1962) und Harrisons (1965) werden Differenzen und Überschneidungsbereiche zwischen republikanischer und internationalistischer Bewegung in der Forschung auf eine soziale und ideologische Spaltung zurückgeführt: sozialistische Republikaner aus der Arbeiterschaft auf der einen, rein politisch argumentierende Republikaner aus Kleinbürgertum, Handwerk und Bürgertum auf der anderen Seite. Die neueren Studien zum republikanischen Denken haben allerdings angedeutet, daß diese sozialen und ideologischen Trennlinien in der angenommenen starren Form nie bestanden. Eine Neuinterpretation der republikanischen Bewegung ist daher dringend geboten.

Zu einer solchen Neubetrachtung kann leider auch der Text von Williams nur als Vorstudie gelten. Er übernimmt letztlich die hergebrachte Unterscheidung in politische und soziale Republikaner. Gerade die IAA, deren englische Sektionen und Publikationsorgane ideologische und organisatorische Schnittpunkte von Republikanismus, Internationalismus und sozialem Denken bildeten, wird in seiner Darstellung kaum erwähnt. Vom Interpretationsansatz her führt Williams die Forschung zum englischen Republikanismus daher kaum weiter. Dennoch sind die Kapitel zur republikanischen Bewegung als Hintergrund für Forscher interessant, die sich mit der Stellung der IAA in England befassen - immerhin mobilisierte der Republikanismus die breiteste politische Massenbewegung nach dem Chartismus gerade zu der Zeit, als Karl Marx selbst sich über den Generalrat der IAA aktiv um die Gestaltung der politischen Arbeiterbewegung bemühte. Zudem arbeitet Williams die neuere Forschung ebenso ein wie eine Reihe anschaulicher Quellenfunde. Bei der Beurteilung seiner Kapitel zum Republikanismus ist zudem zu berücksichtigen, daß dieser Teil der Darstellung nur ein knappes Drittel des Buches ausmacht und eingebunden ist in die umfassendere Fragestellung nach den Varianten, in denen die Monarchie in der viktorianischen Öffentlichkeit diskutiert wurde. Der Republikanismus markiert in diesem Zusammenhang die extremste Form antimonarchistischer Kritik und leitet über in Kapitel zur Wahrnehmung politischer Machtausübung durch die Queen, zur Aneignung der Sprache des Patriotismus durch Monarchie und Konservatismus, zur sentimentalen Verehrung der königlichen Familie durch das Volk sowie zu den Debatten um die Abhaltung öffentlicher Zeremonien. Dabei bestätigt Williams zwar die aus der Forschung bekannte These, daß sich die Monarchie gegen Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber allen republikanischen Bestrebungen fest etabliert hatte, er bricht aber dennoch das Bild eines linearen Prozesses auf. Die Entwicklung verlief nicht von Apathie oder Monarchiekritik hin zu sentimentaler und patriotischer Begeisterung, sondern während der gesamten Regierungszeit Viktorias gab es sowohl Kritik wie auch Unterstützung für die Monarchie. Lediglich die Schwerpunkte der öffentlichen Debatte neigten sich mal der einen, mal der anderen Seite zu. Die Diskussionen mündeten erst gegen Ende des Jahrhunderts in eine deutliche Diskreditierung der radikalen Monarchiekritik. Der stetige Rückzug der Krone von einer aktiven politischen Rolle erlaubte es schließlich, die Monarchie als Ort nationalen Stolzes und zugleich als Garantin gerade derjenigen politischen Freiheitsrechte zu präsentieren, die ursprünglich gegen die Krone eingefordert und erkämpft worden waren.

 

Zurück zum Schriftenverzeichnis

Zurück zur Homepage