Besprechung zu:

Konrad Löw: Kam das Ende vor dem Anfang? 150 Jahre "Manifest der Kommunistischen Partei", Köln: Kölner Universitätsverlag 1998. 202 S.

Autor der Besprechung: Detlev Mares

Erstveröffentlichung: Keine vorherige Veröffentlichung

Es war einmal eine längst versunkene Zeit, in der Tausende und Abertausende von Menschen Schriften wie das "Kommunistische Manifest" als Verkündung der einzig wahren Gesellschaftslehre und als unangreifbare Grundlage eines politischen Glaubensbekenntnisses lasen. Als diese Zeit zu Ende war, gab es sicherlich solche, die dem Verlust ihres Dogmas hinterhertrauerten. Doch viele freuten sich auch, daß die Schriften der Freunde Karl und Friedrich nun ohne doktrinäre Zwangsjacke unter historischen Gesichtspunkten gelesen und erforscht werden konnten. Endlich mußte nicht jedes Wort mit einem immerwährenden Wahrheitsanspruch überfrachtet werden. Endlich mußte man die historische Untersuchung nicht stets und überall als aktuelle politische Auseinandersetzung führen. Endlich war es auch möglich, unvoreingenommener über die persönlichen Borniertheiten, politischen Fehlkalkulationen und auch die beunruhigende Vernichtungsmetaphorik der beiden Freunde zu sprechen. Kurz, ein faszinierendes neues Betrachtungsfeld schien sich aufzutun.

Doch - oh weh! - hinter irgendwelchen Bergen verschlief man diesen großen Umbruch, und als man verspätet erwachte, fuhr man fort, die Schriften der beiden Freunde buchstabengetreu auszulegen und stets und ausschließlich im Licht ihrer politischen Folgewirkungen zu lesen. Dabei handelte es sich diesmal aber nicht um einen Rest gläubiger Adoranten, sondern um selbsternannte Exorzisten, die nun munter damit fortfuhren, die bewährten Satansaustreibungsrituale vergangener Jahrzehnte zu vollziehen. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: Schonungslos wurden die Verfehlungen, Widersprüche und unerquicklichen Charaktermängel von Friedrich und insbesondere Karl enthüllt, mochten die dargebrachten Erkenntnisse auch keineswegs neu sein. Zugleich suchte man den beiden alle die Versäumnisse, Naivitäten und auch die Verbrechen anzulasten, die von späteren Generationen in ihrem Namen begangen wurden. Völlig verloren ging jedoch jede Berücksichtigung der Hintergründe und Anliegen ihres Schaffens, und völlig geleugnet wurden die Härten und - ja, es gab sie - Entbehrungen, unter denen denen ihre Werke entstanden. Verschwunden war auch jedes historische Verständnis, das durchaus die historisch-kritische Edition der Werke von Autoren erlaubt, mit deren Ansichten und Aktivitäten man nicht übereinstimmt. Kurz: Hatten sich viele eben noch gefreut, daß man endlich anfing, den positiven Mythos Marx zu überwinden, so wurde nun ein negativer Mythos bekräftigt, der auf seine Art ebenso unzutreffend war. Keine Frage: Bei diesen Texten handelte es sich um politische Pamphlete, in denen Leidenschaft, nicht Wissenschaftlichkeit die Feder lenkte. Erstaunlich nur, daß die Schreiber dieser Pamphlete keinerlei Gespür dafür mitbrachten, daß so manche der von ihnen attackierten Schriften ebenfalls als Pamphlete entstanden waren und daher gerade nach ihrer Entkanonisierung in diesem Licht gelesen werden könnten. Doch diese Chance wurde verspielt. Und so kam es dazu, daß der Rezensent sein Exemplar dieses Buches nach der Lektüre rasch an jemand Geduldigeren weiterreichte.

 

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