Besprechung zu:

Sabine Behrenbeck: Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole 1923 bis 1945, Vierow bei Greifswald: SH-Verlag 1996 (= Kölner Beiträge zur Nationsforschung, Band 2), 688 S. mit 24 Abb.

Autor der Besprechung: Detlev Mares

Erstveröffentlichung der Besprechung: Theologische Literatur - Beilage zur Reformierten Kirchenzeitung 8, 1998, S. 9.

Der vom NS-Regime inszenierte "Kult um die toten Helden" war ein religiöses Phänomen. Dies ist die provozierende, aber sorgfältig ausgeführte These Sabine Behrenbecks, die umfassend und kenntnisreich die inhaltlichen Veränderungen des nationalsozialistischen Heldenkults im Zuge der politischen Wandlungen von 1923 bis 1945 verfolgt. Mit der Freilegung der religiösen Dimension des Heldenkults werden außer-religiöse Aspekte und strategische Elemente der NS-Heldeninszenierung keineswegs geleugnet. Behrenbecks gezielter Zugriff macht jedoch gerade den Erfolg des Heldenkults unter den Anhängern des Nationalsozialismus verständlich. Er bot ihnen Antworten auf die Sinnstiftungsfrage in einer Zeit, der metaphysische Entwürfe und traditionelle Ordnungsvorstellungen fragwürdig geworden waren. Indem der Kult das Opfer des eigenen Lebens für das Gemeinwesen überhöhte und damit eine bedeutungsvolle Interpretation der Todeserfahrung lieferte, wurden insbesondere Menschen, die psychisch die Erfahrung von Krieg, Niederlage und Wirtschaftskrise nicht verarbeiten konnten, aufnahmebereit für das "religiöse" Sinnstiftungsangebot des Nationalsozialismus. Bewußte Kalkulation und unbewußtes Bedürfnis ergänzten sich in Gestaltung und Rezeption des Heldenkults. Wie Behrenbeck am Beispiel Hitlers und Goebbels' zeigt, kennzeichnete der Glaube an die religiöse Sendung des Nationalsozialismus selbst diejenigen Mitglieder der NS-Führungsriege, die die Gläubigkeit anderer geschickt zu manipulieren wußten. Der nationalsozialistische "Kult" kann daher nicht nur als Massenverführung abgetan werden, der mit Mitteln aufklärerischer Ideologiekritik beizukommen wäre. Vielmehr gilt es, gerade seine emotionale, aber auch metaphysische Funktion für die "Gläubigen" ernstzunehmen, sollen die Ursachen seiner Wirkungskraft verständlich werden.

Im ersten Teil der Studie wird eine ausführliche Klärung der untersuchungsleitenden Kernbegriffe Mythos, Ritus, Symbol, Held und Opfer unternommen, bevor im zweiten Teil die inhaltliche Analyse einsetzt. Ausgangspunkt der Mythenproduktion war die Stilisierung der Gefallenen des Ersten Weltkriegs und umgekommener Nationalsozialisten der "Kampfzeit", aber auch Hitlers selbst, zu "Helden", deren heroisches "Selbstopfer" Deutschlands Regeneration versprach. Der dritte Teil schildert die Umgestaltung des Mythos in der Zeit nach der "Machtergreifung". Neue Formen und eine Umdeutung mancher Inhalte waren nun notwendig, um den Parteimythos für das ganze Volk verbindlich zu machen. Film und Theater, festliche Zeremonien und Kultarchitektur werden ausführlich untersucht, bevor im vierten Teil die Funktion des Mythos im Krieg behandelt wird. Dieser bedeutete die ultimative Bewährungsprobe für die Wirksamkeit des Mythos, der nun das Sterben im Krieg als Lebensopfer für Deutschland legitimieren sollte. Das Scheitern dieser versuchten Todesverklärung trug nicht zuletzt zur grundlegend veränderten Haltung gegenüber mythischen Weltdeutungen in der Nachkriegszeit bei.

In jedem der Teile werden an zahlreichen Einzelaspekten die religiösen und psychosozialen Dimensionen des Heldenkults unterstrichen. Zwar steht die Inszenierung des Kults im Vordergrund der Untersuchung, doch Kapitel zur Mentalität der "Gläubigen" versuchen, den Erfolg der neuen "Religion" einzuschätzen. Behrenbeck legt jedoch nicht nur eine facettenreiche Studie mit provozierender Kernthese vor, sondern beschreitet auch methodisch innovative Wege. Insbesondere in der Analyse von Ritualen und Symbolen ergänzt sie die herkömmlichen schriftlichen Zeugnisse durch Filmmaterial und Fotographien. Ihre geschickte, dem jeweiligen Untersuchungsobjekt angepaßte Kombination religionswissenschaftlicher, kunsthistorischer, literaturwissenschaftlicher und ethnologischer Methoden legt die Wiederaufnahme einer traditionell religiösen Symbolik in den Strukturen des NS-Kults offen. So arbeitet sie im Ritual zum Gedenken an den gescheiterten Hitlerputsch, das jährlich am 9. November in München inszeniert wurde, mit überzeugender Detailgenauigkeit die Parallelen zur christlichen Opferliturgie heraus, die eine heilsgeschichtliche Überhöhung der Ereignisse von 1923 bewirken sollten. Besonderes Interesse verdient die Analyse der NS-Kultbauten. Behrenbeck bleibt nicht auf der Ebene der Stilkritik stehen, sondern interpretiert die Architektur gekonnt als Beitrag zur Schaffung einer standardisierten Symbolsprache, die neben politischen Geltungsansprüchen vor allem Ideen zum Umgang mit existentiellen Grunderfahrungen menschlichen Daseins, wie Trauer und Tod, transportieren sollte. Selbst Lesern, die die These vom religiösen Charakter des nationalsozialistischen Heldenkults nicht teilen wollen, verspricht die materialreiche, auch in theoretischen Passagen flüssig geschriebene Studie neue Anregungen für ein Verständnis der nationalsozialistischen Herrschaftspraxis. Überdies laden die Überlegungen der Kölner Kultforscherin zur Bedeutung, aber auch den Gefahren der Mythenbildung im Selbstverständnis menschlicher Gesellschaften über den engeren Rahmen ihres Themas hinaus zum Nachdenken über gegenwärtige Kulturphänomene ein.

 

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